Ein fröhliches Shalom aus Israel!

Mein Name ist Franziska de Vries, ich bin 19 Jahre alt und habe vor einem Monat mein „Abenteuer Israel“ gestartet. Mein Freiwilligendienst läuft über die „Stiftung Ökumenisches Lernen“, eine Organisation der Landeskirche Braunschweig.

Auf einem Markt in der Stadt AkkoIch lebe für ein Jahr in der Stadt Kiryat Tivon, einer Partnerstadt von Braunschweig. Kiryat Tivon heißt übersetzt „Park in den Hügeln“ und liegt in Galiläa im Norden Israels, in der Nähe der Hafenstadt Haifa. Tivon ist eine kleine Stadt mit 14.000 Einwohnern, aber es gibt alles, was man braucht: Supermärkte, Restaurants, Banken und eine Post. Zum Einkaufszentrum in der nächsten Stadt  fährt man mit dem Bus nur fünf Minuten.

Generell merkt man schnell, dass Israel klein ist und dass man leicht eigentlich überall hinkommt. An sich ist es ein sehr westliches Land, den deutschen und amerikanischen Einfluss bekommt man täglich mit. Zum Beispiel beim Einkaufen und beim Gespräch mit Menschen, die man auf der Straße trifft und die Deutsch sprechen können.

Ich lebe und arbeite mit elf anderen deutschen Freiwilligen zusammen in Tivon. Außerdem leisten noch acht „Shinshinim“, also israelische Freiwillige, ihren Freiwilligendienst vor ihrem Dienst in der Armee ab. Die Armee spielt hier eine große und wichtige Rolle, hier gilt noch die Wehrpflicht für Männer und auch Frauen. Ich werde mich wahrscheinlich nie daran gewöhnen, ständig junge Leute, die kaum älter sind als ich, in Armee-Kleidung und manchmal auch mit Maschinengewehren im Bus oder im Zug zu sehen. Jeden Tag fliegen Düsenjets lautstark über Tivon zu einem naheliegenden Stützpunkt der Armee.

Meine Arbeitsstelle heißt „Kfar Tikva“, „Dorf der Hoffnung“ auf Hebräisch, und ist eine kibbutz-artige Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Sie wurde im Jahr 1963 von israelischen Familien mit behinderten Kindern und deutschen Volontären aufgebaut. Es ist ein wirkliches Vorzeigeprojekt und ich bin sehr dankbar, dass ich ein Teil davon sein darf!

Im Kfar leben insgesamt 220 Menschen mit verschiedensten Behinderungen von Autismus über Parkinson bis hin zu psychischen Problemen. Jeder Mensch, der hier lebt, wird als „Chaver“ bezeichnet, was „Freund“ bedeutet. Schon dies zeigt, dass die Mitarbeiter hier ein besonderes Verhältnis zu den Bewohnern haben, es ist sehr freundlich und herzlich. Hierarchie ist natürlich vorhanden, doch dies soll nicht immer im Vordergrund stehen.

Die Bewohner haben einen strukturierten und ereignisreichen Tagesablauf. Es geht darum, ihnen ein schönes und glückliches Leben zu ermöglichen und ihnen trotzdem Entscheidungsfreiheit zu lassen. Von 8 bis 12 Uhr arbeiten sie in einem Workshop. Davon gibt es ungefähr 15, darunter die Holzwerkstatt, eine Tierfarm, den Garten, eine Keramikwerkstatt, ein Weingut und Workshops für Leute, die eine zu starke Behinderung haben oder zu alt sind, um in den anderen Werkstätten zu arbeiten. Dort malen sie und fädeln z.B. Perlen oder Fäden auf, was für viele Leute sehr anspruchsvoll ist. 50 Bewohner wohnen oder arbeiten in Tivon, z.B. in einem Restaurant oder in einem Supermarkt. Die Arbeit außerhalb des Kfars ist natürlich für die Chaverim (Freunde) besonders wichtig, da so ihre Selbstständigkeit gefördert wird. Aber auch für die Stadt ist diese Form der Arbeit von besonderer Bedeutung.

So werden Leute mit speziellen Bedürfnissen, doch auch oft besonderen Fähigkeiten, in das allgemeine Leben integriert. Außerdem ist es wichtig zu erwähnen, dass kein Chaver etwas für seinen Aufenthalt in Kfar Tikva bezahlen muss, alles wird vom Staat oder durch Unterstützer besonders aus den USA und aus England finanziert.

Ich arbeite jetzt seit zwei Wochen mit ungefähr 12 Chaverim in der Bäckerei. Dort werden jeden Tag entweder Kekse, Cracker, Kuchen oder Brote gebacken, hauptsächlich fürs Kfar, aber auch für die Menschen außerhalb. Die Arbeit gefällt mir wirklich sehr gut und die Menschen hier sind so herzlich und fröhlich. Ich lerne jeden Tag dazu, nicht nur neue hebräische Wörter, sondern auch neue Rezepte, da die hebräische Schrift anders ist und ich somit noch nichts lesen kann.

Für mich ist dies wirklich eine Herausforderung, da zwar viele Chaverim Englisch oder Deutsch verstehen und sprechen können, aber auch viele nicht und es deswegen immer wieder ein Abenteuer ist, ihnen mitzuteilen, was ihre Aufgabe ist. Auch die Workshopleiterin spricht nur gebrochen Englisch, doch so lerne ich schnell und verstehe oft schon, was heute gebacken wird.

Die Freiwilligen werden fantastisch aufgenommen und jeder freut sich, dass junge Menschen neue und frische Ideen mit ins Kfar bringen. Da seit 1963 deutsche Freiwillige beim alltäglichen Leben im Kfar helfen, weiß ich, dass wir wirklich gebraucht werden und dass ich hier einen Platz habe, an dem ich erwünscht bin.

Auf dem Weg zur Arbeit im KfarNach dem Mittagessen im Speisesaal geht es am Nachmittag weiter zu den „pnai-Aktivitäten“. Davon gibt es ungefähr 100 Stück und die Chaverim können sich aussuchen, an welchen sie teilnehmen möchten. Die Aktivitäten reichen vom einfachen Spazierengehen und Fahrradfahren über Bowling und Tanzen bis zu Malen, Chor und Musikhören. Es soll nicht einfach um Beschäftigungstherapie gehen, sondern darum, die Talente zu fördern und die Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen.

Zusammen mit einem israelischen Mädchen biete ich Tanzen an, dort üben wir gerade eine Choreografie für „Rosh Hoshana“, den Beginn des jüdischen Jahres, ein. Doch wir spielen auch z.B. Stop-Tanz und es ist wirklich toll und herzerwärmend, mit den Bewohnern zu tanzen und zu sehen, wie viel Spaß sie trotz ihrer Beeinträchtigungen dabei haben.

Insgesamt habe ich mich in den drei Wochen, die ich jetzt hier bin, schnell eingelebt, fühle mich hier unglaublich wohl und zuhause. Meine Arbeit macht mir sehr viel Freude, auch wenn sie nicht immer einfach ist, und ich hoffe, dass ich den Menschen wenigstens halb so viel geben kann wie sie mir.

Israel ist so ein spannendes Land, ich kann es gar nicht abwarten, u.a. nach Jerusalem, ans Tote Meer und in die Negev-Wüste zu fahren. Ich freue mich auf das kommende Jahr, auf die Herausforderungen und auf die Abenteuer, die ich im Kfar und in Israel generell erleben werde.

Toda raba (Vielen Dank) für Ihr Interesse und bis zum nächsten Mal!

Franziska

 

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Ein nachdenkliches Schalom (שָׁלוֹם) aus Kiryat Tivon!

Wüste NegevSeit meiner Ankunft in Israel sind nun schon 8 Monate vergangen. Die Zeit rennt und wenn ich auf die Monate hier zurückblicke, weiß ich überhaupt nicht, wovon ich zuerst berichten soll.

Sonstige jüdische Feiertage wie Rosch Haschana, der Beginn des neuen jüdischen Jahres, und Chanukkah über Besuche in Kibbutzim bis hin zu Reisen über die Grenze nach Palästina sind nur ein paar der Highlights. Doch diesmal möchte ich nicht hauptsächlich über meine Arbeit im Behindertendorf „Kfar Tikva“, Dorf der Hoffnung, reden.

Die Arbeit nimmt den Großteil meines Lebens hier ein, doch es fühlt sich für mich nie wirklich so an, als wäre es Arbeit, dafür macht es mir einfach zu viel Spaß. Ich kann mich kreativ ausleben, habe Verantwortung und Entscheidungsfreiheit und jeder freut sich über neue Projekte und Ideen. Doch da Israel so klein und der Nah- und Fernverkehr sehr gut ist, befinde ich mich am Wochenende eigentlich nie in unserer kleinen, aber feinen Volontärs-WG, die ich mit zwei anderen Mädels bewohne.

Oft war ich schon im unglaublichen Jerusalem und bin von dort aus weiter nach Palästina gefahren, habe es tatsächlich geschafft, ohne Reisepass von dort wieder über die Grenze nach Hause zu kommen, habe in der Negev-Wüste unter freiem Sternenhimmel geschlafen, war zu Besuch in einem traditionellen Kibbutz im Norden Israels und bin über die vielfältigen Märkte in Tel Aviv geschlendert. Ständig verschlägt es mich an neue Orte, die unterschiedlicher nicht sein können, von den arabischen Drusendörfern hoch oben im Carmel-Gebirge bis hin zu orthodoxen Vierteln in Jerusalem oder Flüchtlingslagern in Palästina.

„Israel ist aus vielen Gründen ein faszinierendes Land, was mich seit meiner Ankunft völlig in den Bann gezogen hat.“

Das von vielen sogenannte „Heilige Land“ ist auf der einen Seite jung, existiert auf dem Papier erst seit 1948, und hat seine eigene Identität relativ gut entwickelt, wie z.B. im toleranten Tel Aviv, dem Silicon Valley des Nahen Ostens. Manchmal ziehen hier z.B. Gay-Paraden durch die Straßen, bunt und fröhlich. Es herrscht ein wundervolles „Balagan“, wie man ein „Durcheinander“ in Hebräisch bezeichnet. Konzerte, Theateraufführungen und Kunstaustellungen überschlagen sich förmlich. Jeder findet hier etwas, was ihn brennend interessiert. Junge Israelis sind neugierige Menschen, sie wollen lernen, was andere über ihr Land denken, wie andere zur vertrackten politischen Lage stehen. Viele von ihnen werden mit Vorsicht erzogen, die Eltern haben klare Meinungen zu Arabern, manchmal wird diese Vorsicht beibehalten. Doch die Spanne reicht in Israel von tolerant bis respektlos, was andere Religionen und politische Ansichten angeht.

Auf der anderen Seite existiert eine ganz andere Welt, die Welt von Synagogen, Moscheen und Kirchen. Die vier verschiedenen Viertel in Jerusalems Altstadt quetschen sich zusammen auf einer Fläche von nur 1 km². Zwischen den alten Gemäuern verliert man schnell den Überblick, besonders am Freitag ab 16 Uhr, wenn Moslems und Juden ihren heiligen Feiertag begehen. Dann kann man sich nicht mehr an Einheimischen orientieren, die sich genervt durch die Massen von Touristen drängen, die die engen Gassen der Märkte verstopfen.

Sandwich-Kekse aus der BäckereiLäuft man am Freitagabend durch das Jüdische Viertel, kann man manchmal durch die Fenster die Sabbat-Kerzen brennen sehen. Man sieht die Familien, kleine Jungs, die ganz in schwarz mit Kippa und Gebetsbändchen bekleidet sind, die Schläfenlocken schwingen bei jeder Bewegung mit. Alles duftet nach Sabbat-Brot, das sogenannte Challa, ein Hefezopf, und nach koscherem Wein.

„Besonders die Wehrpflicht beschäftigt mich jeden Tag aufs Neue.“

Sie ist zwischen den deutschen und israelischen Freiwilligen oft ein Thema und bestimmte israelische Ansichten sind für uns Jugendliche aus Deutschland manchmal schwer nachzuvollziehen. Doch genauso geht es wahrscheinlich vielen jungen Israelis, die sich schwer vorstellen können, dass wir Deutschen nach unserer Rückkehr studieren gehen werden. Jeder junge Mensch geht in Israel nach der Schule oder einem Sozialen Jahr zur Armee. Israel braucht sie, ohne sie würde dieses Land nicht mehr existieren.

Ein Tag, an dem ich niemanden in der hauptsächlich grünen Uniform herumlaufen sehe, kommt eigentlich nie vor, es ist einfach ein Teil des Straßenbildes. Es ist immer noch komisch für mich, an manchen Orten Scharfschützen zu sehen und in eigentlich jedem Einkaufszentrum und jedem Museum eine Sicherheitsdurchsuchung zu durchlaufen. Tatsächlich ist es häufig so, dass meine israelischen Freunde getestet werden, ob sie einen arabischen Akzent im Hebräischen haben und jeder Mann, der irgendwie arabisch aussieht, z.B. vor dem Damaskus-Tor in Jerusalem, von fünf Scharfschützen umringt wird. Die Vorstellung, dass ich bald studiere und die anderen israelischen Freiwilligen mindestens 2 ½ Jahre in der entweder grünen oder beigefarbenen Uniform herumlaufen werden, ist für mich äußerst befremdlich.

In PalästinaMeine Mitfreiwilligen und ich bekommen oft Dinge zu hören, die nicht unbedingt araberfeindlich sind, aber trotzdem implizieren, dass es ja schon komisch und eigentlich viel zu gefährlich ist, als Europäer nach Palästina zu fahren. Oft werde ich von Leuten aus Deutschland gefragt, wie sehr ich den Konflikt spüre, ob er meinen Alltag stark beeinflusst und was die Menschen um mich herum davon halten. Generell fühle ich mich in Israel überhaupt nicht gefährdet. Tatsächlich kriege ich hier im Norden von Attentaten oder sonstigen Ausschreitungen selten etwas mit.

Manchmal kommen allerdings Nachrichten von anderen Volontären aus z.B. Jerusalem, die über eine weitere Messerattacke oder einen Anschlag berichten, meistens vor dem berühmten Damaskus-Tor. Bin ich in Jerusalem, passiere ich dieses Tor ziemlich häufig. Manchmal wird mir etwas mulmig zumute, dort ständig von ungefähr 10 Soldaten und Scharfschützen umringt zu sein. Ich weiß nicht, ob mich diese Tatsache eher beruhigt und ein Gefühl von Sicherheit bringt oder es mich ein bisschen verunsichert.

Der ganze Konflikt wird für mich einfach nur immer komplex und je länger ich hier bin und je mehr ich vom Land sehe, desto deutlicher wird, dass es für diese Situation nicht einfach einen Lösungsweg geben kann.

„Von verschiedensten Seiten drücken Menschen dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern irgendwelche Stempel auf und da kann man nicht mal so kurz und pauschal Stellung zu nehmen.“

An sich ist Israel ein sehr patriotischer Staat, überall hängen die blau-weißen Flaggen und oft hört man nur den Namen „Heiliges Land“. Es gibt Menschen, die mir gerne ihre Meinung zu den israelisch-palästinensischen Beziehungen darstellen, und es gibt andere, die mit sorgenvollen Gesichtern sagen, dass sie darüber eigentlich nicht reden wollen. Die ganze Sache hat ihre Wurzeln in Angst, Unwissen und Vorurteilen.

Mit allen Freiwilligen beim Sandsurfen in der Wüste

Doch an dieser Stelle muss erwähnt werden, dass das Zusammenleben von Arabern und Juden besonders hier im Norden, wo ich das Leben genauer miterlebe, reibungslos funktioniert. Mein Arbeitsplatz Kfar Tikva ist hierfür ein besonders gutes Beispiel: Hier arbeiten Juden, Moslems und Christen miteinander, es ist etwas ganz Natürliches. Kiryat Tivon ist generell eine tolerante Stadt, in der viele Künstler und Freidenker wohnen. Viele Deutsche haben sich hier niedergelassen, auch die Mutter meiner Gastfamilie, mit der ich mich ungefähr jede Woche treffe, kommt ursprünglich aus Deutschland.

Jüdische Festung Masada mit Blick aufs Tote Meer und JordanienGenerell kann ich nur sagen, dass es mir wirklich super geht, ich hier unglaublich glücklich bin und noch so viel mehr zu erzählen hätte, doch das Ganze einfach sonst zu lang wäre! Meine Arbeit macht mir Spaß, obwohl sie mich auch sehr fordert, ich bin ständig unterwegs, egal ob am Wochenende oder an Arbeitstagen und ich freue mich auf die restlichen Monate, die mir noch bleiben.

Toda raba (תודה רבה), vielen Dank für Ihr Interesse!

Franziska