Halbzeit in Milano, Italien – Stand: Oktober 2021

Nach über eineinhalb Jahren kann ich das Thema zwar selbst nicht mehr hören, aber leider sind meine einleitenden Worte trotzdem der Pandemie gewidmet. Neben vielen Veränderungen im Alltag hat das Virus viele neue Herausforderungen mit sich gebracht. Dazu gehört auch die unbesiegbare Fähigkeit, das Planen quasi unmöglich zu machen. In dem Wissen, dass die an sich geplante Einreise zum Studium an der Partneruniversität in Taiwan unter Umständen bis kurz vor Beginn des Auslandssemesters auf der Kippe stehen wird, habe ich mich frühzeitig um eine Alternative in Mailand – oder wie man im italienischen so schön sagt – Milano bemüht. Trotzdem hatte ich die Hoffnung bis zum Schluss nicht aufgegeben, da laut den Medien mehrfach neue Einreisebestimmungen in der Planung waren. Wie leider abzusehen war, wurde knapp zwei Wochen vor dem Semesterbeginn der reine Onlineunterricht in Taiwan angekündigt, da die Grenzen auf unbestimmte Zeit weiter geschlossen bleiben sollten. Somit hatte ich knapp eine Woche Zeit, meinen Aufenthalt an der renommierten Bocconi Universität in Italien auf die Beine zu stellen – leichter gesagt als getan.

Anreise und Wohnsituation

Fast alle internationalen Studenten reisen über öffentliche Wege an und ein paar wenige lassen sich von Eltern oder Freunden fahren, denn im Alltag benötigt man hier kein Auto. Aufgrund meiner eher speziellen Situation bin ich aus zwei Gründen selbst mit dem Auto nach Milano gefahren: Ich konnte dadurch genügend Kleidung etc. sowohl für den Sommer als auch den Winter mitnehmen und ich hatte ja noch keine Unterkunft. So konnte ich mein Gepäck bequem zu der Wohnung fahren, die ich nach zwei Wochen Hotelaufenthalt endlich gefunden hatte. Da die Vorlesungen für Freemover wie mich ohnehin ausschließlich Online sind, habe ich mich bei der Suche letztendlich räumlich nicht wie geplant auf das Universitätsumfeld beschränkt. Nach einem sehr, sehr holprigen Start hatte ich also endlich eine Wohnung im Stadtviertel „Città Studi“, einer sehr belebten Gegend am äußeren Ring von Mailand.

Die zweitgrößte Stadt Italiens ist das industrielle Herz des Landes ein Magnet für Studenten, da es etliche Universitäten und ein gigantisches Netzwerk an internationalen Austauschstudenten gibt. Kurz gesagt – egal wo man wohnt, man ist sozusagen immer in der Nähe einer Uni. Die Wohnung selbst teile ich mir mit einer Studentin aus Frankreich, die an einer anderen Uni studiert. Die Wohnung ist verhältnismäßig geräumig und in Anbetracht der üblichen Mietpreise sehr bezahlbar. Die spontane Wohngemeinschaft funktioniert bislang top, wir verstehen uns blendend und des Öfteren wird auch gemeinsam etwas unternommen. Eine WG ist bei einem Auslandsstudium immer zu empfehlen, weil man dadurch viele neue Leute trifft, da im Bestfall die gemeinsam erworbenen Bekanntschaften zusammenkommen.

Eindrücke

Während der Fahrt aus Deutschland durch die Schweiz konnte ich beobachten, wie sich das Wetter und die Temperatur von Regen zu strahlendem, warmem Sonnenschein veränderten. Als ich dann endlich in Mailand ankam, wurde ich von der Hitze, der scheinbaren Anarchie im Straßenverkehr und den vielen (offensichtlich irrelevanten) Parkverbot-Schildern förmlich erschlagen. Ich fahre zwar schon sehr lange Auto, habe mehrere Jahre im Ausland gelebt und bin eigentlich immer auf alles vorbereitet, aber die Gesamtsituation und das hin und her zwischen Italien und Taiwan haben durchaus ein paar graue Haare wachsen lassen. Nachdem endlich ein kostenloser Parkplatz gefunden und das Hotelzimmer bezogen war, konnte ich das erste Mal aufatmen.

Auf den ersten Blick wirkt Milano nicht sonderlich schön, da viele Gebäude schon sehr alt, aber nicht antik sind und es nur wenige Grünflächen gibt. Jedoch sollte man sich davon nicht täuschen lassen, denn die Stadt und dessen Umgebung haben einiges zu bieten. Mailand liegt in der Nähe von einigen bekannten Seen wie dem Gardasee oder dem Comersee und ist zudem nicht weit von den Bergen entfernt. Auch Venedig lässt sich leicht mit dem Zug erreichen. An einem Wochenende kann man also ein breites Spektrum vom Strand bis zum Gebirge genießen, ohne dabei viel Reisezeit auf sich nehmen zu müssen. Die Stadt selbst ist mit dem dichten öffentlichen Nahverkehr sowohl nach innen als auch nach außen gut vernetzt, wovon viele Studenten auch Gebrauch machen.

Vieles ist, wie man es sich in Italien vorstellt: Die Straßen sind immer belebt, es gibt unzählige kleine Restaurants, Wochenmärkte, Eisdielen und Shops, aber auch prunkvolle, vom Katholismus geprägte Altbauten und Sehenswürdigkeiten wie z.B. den Mailänder Dom („Duomo di Milano“), eine der größten Kirchen der Welt (siehe Bild rechts).

In der Gesamtheit ist die Stadt sehr vielseitig. Überirdisch kann man sich öffentlich mithilfe der altmodischen Tram fortbewegen, während unterirdisch ein eher zeitgerechtes Metro-Netzwerk angelegt ist. Neben den vielen Altbauten sorgt die moderne Region um den Hauptbahnhof für einen unerwarteten Kontrast, fast wie zwei verschiedene Welten. Dasselbe lässt sich auch bei den Bewohnern der Stadt beobachten. Oftmals sieht man teure Autos inmitten von Blechhäufen, wo man nur vermuten kann, dass es sich um ein Fahrzeug handelt. Altmodische Geschäfte teilen sich mit schicken Boutiquen die Gassen und man begegnet fast gleichermaßen oft einheimischen und internationalen Studenten aus aller Welt. Aber gerade diese Kontraste formen den einzigartigen Charakter dieser Stadt.

Ein großes Klischee der Italiener wird in Milano zur Genüge bestätigt – auf Essen wird viel Wert gelegt. Selbst die Feinschmecker unter uns kommen hier auf ihre Kosten.

Die italienische Küche zieht einem durch ihr vielseitig-verführerisches Geschmackserlebnis förmlich das Geld aus der Tasche; was aber mit vollem Bauch und guter Laune gefährlich schnell wieder vergessen ist. Allgemein bekomme ich den Eindruck, dass die Menschen hier glücklicher sind als beispielsweise in Deutschland.

Universität

Die Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi gehört zu den besten Business Schools Europas und befindet sich im Ranking weltweit unter den Top 20. Mit über 14.000 Studenten ist sie auch nicht gerade klein und mit der Ostfalia nicht ansatzweise zu vergleichen. Zu Beginn war es nicht leicht sich mit der neuen Infrastruktur zurechtzufinden. Die Immatrikulation war von Start bis Ende kompliziert und die Struktur der Website lädt herzlichst dazu ein, das Auslandssemester über den Haufen zu werfen. Wenn man sich aber durch die vielen Schritte gekämpft hat, stehen einem eine große Anzahl an Kursen sowohl auf Englisch als auch Italienisch zur Verfügung. Viele der Vorlesungen beschäftigen sich mit aktuellen Themen wie beispielsweise Klimawandel oder Social Media, sodass für alle Interessen etwas dabei ist.

Auch wenn ich „nur“ vier Kurse belege, gibt es genug zu tun um oft nur mit schlechtem Gewissen die Freizeit „genießen“ zu können. Im Verlauf des Semesters müssen als sogenannter „attending student“ zusätzlich zur Klausur am Ende einige Gruppenarbeiten und Kurztests absolviert werden. Alternativ kann man als „non-attending student“ auch einfach (sogar ohne Vorlesungen) am Ende des Semesters eine Klausur schreiben. Allerdings muss man sich hier auf einen weitaus größeren Lernumfang und eine längere Prüfung vorbereiten. Ich habe mich in allen Kursen entschieden, die Vorlesungen anzuschauen, weil man durch die Gruppenarbeiten auch als online Student viele Leute kennenlernt, die ebenfalls in Milano sind. Zudem ist die Klausurenphase am Ende nicht so belastend und Teile der Endnote sind bereits gesichert. Die erste Vorlesungswoche dient quasi als Schnupperphase und ermöglicht es, Kurse noch abzuwählen oder neue hinzuzufügen, bevor am Ende der Woche die fällige Zahlung von 170€ pro CP (Summe aller gewählter Kurse) den Immatrikulationsprozess vollendet.

Alles in allem sollte man sich bewusst sein, dass an dieser Uni nicht gefaulenzt wird. Wer also ein entspanntes Auslandssemester ohne viel Arbeit haben will, ist hier an der falschen Adresse. Belohnt wird der Aufwand aber mit einem bedeutenden Eintrag in den Lebenslauf und der Erfahrung, mit den vielen Herausforderungen umzugehen, was vielen Arbeitgebern nicht entgehen wird.

Freizeit

Bereits an meinem ersten Tag in Mailand habe ich durch Zufall und etwas Initiative ein paar Leute aus einem italienisch Sprachkurs kennengelernt, mit denen ich die ersten paar Wochen fast ausschließlich verbracht habe (also bis zu deren Abreise). Hier war mein Auto auch sehr geschickt um Tagesausflüge in die Umgebung, wie z.B. den Gardasee zu machen. Bis Anfang Oktober wurde man bei über 30 Grad regelrecht gekocht, wodurch jeder Ausflug zum Wasser eine willkommene Abkühlung war. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr zufällige Bekanntschaften hinzu, die wiederum zu neuen Bekanntschaften führten. Als nicht Erasmus Student ist es viel schwieriger hier Anschluss zu finden, wenn man nicht über die Netzwerke informiert ist. Zudem ist der Unterricht aufgrund der Pandemie soweit ich weiß, nur für Freemover wie mich ausschließlich online, was den persönlichen Bezug zu dem Kommilitonen in Vorlesungen mit über 100 Teilnehmern auf ein Minimum reduziert.

Angefangen mit einer zufälligen Begegnung in einem Supermarkt mit einem belgischen Studenten war ich auf einmal Teil mehrerer Gruppenchats, in denen vom Erasmus Student Network (ESN) wöchentlich mehrere Events geplant werden. Teilweise werden ganze Clubs für Studenten ausgebucht, auch mehrmals unter der Woche. Wenn man sparsam mit Informationen umgeht, kann man auch als Freemover problemlos eine Mitgliedschaft erhalten, welche für gewisse Events und Wochenendtrips nötig ist. Einer dieser Ausflüge führte mich nach Manarola (siehe Bild links), eine von fünf Küstendörfern auch genannt Cinque Terre. Traditionell wird dort Wein hergestellt und Fischfang betrieben. Der lokale Wein wird Sciacchetrà genannt und findet sich sogar in alten römischen Schriften wieder. Solche Trips bieten auch die Möglichkeit viele neue Leute, aber auch interessante Regionen kennenzulernen.

Im Alltag nehme ich neben den Vorlesungen an Events teil oder unternehme etwas mit Freunden. Außerdem lege ich die meisten Strecken entweder zu Fuß oder mit dem Skateboard zurück, um möglichst viel von der Stadt zu sehen, auch wenn man ganz gerne mal fast überfahren wird. Eine Rot-Grün-Schwäche ist in Milano auch kein Problem, da Fußgänger grundsätzlich über die Straße laufen, wenn sich eine Lücke auftut, egal welche Farbe die Ampel hat. Auch die Auto- Fahrrad- Roller und E-Scooter-Fahrer nehmen die Regeln nicht so eng. Wie bereits erwähnt bietet die Stadt eine Vielzahl an Restaurants, Bars etc., welche auch grundsätzlich belebt sind. Um dem entgegenzuwirken und weil viele Gassen und Türen relativ schmal sind, gehe ich weiterhin regelmäßig ins Fitnessstudio.

Schlusswort

Alles in Allem ist das Auslandssemester bislang ein voller Erfolg. Gerade wenn es noch keine Erfahrungsberichte gibt und man sich im Zuge der Pandemie ins Unbekannte wirft, wächst man mit den Herausforderungen. Glücklicherweise ist man durch Covid in Milano kaum eingeschränkt, wenn man einen sogenannten „Green Pass“ (Impfausweis) hat. Geimpfte können problemlos im Innenraum essen, Bars betreten, ins Kino gehen und sogar in Clubs feiern.

Neben einigen Baustellen – wie das Italienisch lernen – wurden viele meiner Erwartungen an das Auslandssemester bereits erfüllt. Auch wenn definitiv nicht zu erwarten war, dass z.B. mein Auto zwischendurch aufgeknackt und geklaut wurde (der Dieb wurde zum Glück noch in derselben Nacht zufällig erwischt), nehme ich auch diese Erfahrung mit in die Zukunft. Der größte noch unerfüllte Wunsch ist es, mehr italienische Bekanntschaften zu machen, da ich fast ausschließlich mit anderen internationalen Studenten in Kontakt komme. Insgesamt ist die Zeit hier wie ein kurzer Ausschnitt aus einem anderen Leben, welcher sich (wie alle Auslandserfahrungen) viel zu schnell dem Ende nähert.

Viele Grüße,

Timo