Lorena Leicht wird vom Internationalen Freundeskreis mit einem Stipendium für ihre Schulzeit an der Taunton School in England unterstützt. Hier berichtet die Wolfsburger Schülerin über ihre Erlebnisse im englischen Internat:

„Disziplin! Uniform! Harry Potter!
Dies sind wohl die Dinge, die einem in den Sinn kommen, wenn man an ein englisches Internat denkt. Einige der Stereotypen kann ich bestätigen. Harry Potter habe ich bisher noch nicht getroffen.

Aber nun zu mir: Ich bin Lorena Leicht, 16 Jahre alt, Schülerin der elften Klasse an der Neuen Schule Wolfsburg und besuche zur Zeit das Internat Taunton School in Taunton, Somerset, England.

 

Zunächst hatte ich große Bedenken für eine längere Zeit in ein fremdes Land zu gehen, dort zu leben und vollkommen auf mich allein gestellt zu sein. Jedoch habe ich immer mehr Menschen kennengelernt, die während ihrer Schulzeit im Ausland waren, viel davon geschwärmt haben und begeistert zurückkamen. Also wurde ich neugierig… Wie
anders kann ein Land nicht einmal 1000 Kilometer entfernt von Deutschland schon sein?  In den letzten Monaten habe ich mich schon sehr gut in England eingelebt und genieße den Internatsalltag.

Aller Anfang ist (gar nicht mal so) schwer
Mit dem Auto ging es für mich und meine Eltern Anfang September 2018 Richtung England. Wir nahmen die Fähre von Dünnkirchen nach Calais und nach einer langen Autofahrt kamen wir einen Tag vor Schulbeginn in der Stadt Taunton, im Südwesten von England, an. Der darauf folgende Einführungstag war für alle neuen Internatsschüler gedacht.
Diese sollten sich mit der Sprache, den Mitschülern, den Betreuern und auch mit dem Schulgelände vertraut machen. Ich stand also um Punkt neun Uhr vor meinem damals noch fremden, neuen zu Hause und war sehr aufgeregt. Nachdem mir eine ältere Schülerin zugeteilt wurde, die mir alles zeigte, musste ich meine Eltern innerhalb weniger Minuten verabschieden.

An den darauf folgenden Tagen wurden viele organisatorische Dinge geklärt, wie zum Beispiel die Fächerwahl, die Zimmeraufteilung, Freizeitaktivitäten, Tagesabläufe etc. Man sollte sich zunächst einleben, bevor der tatsächliche Unterricht losging. Zudem fand ein Kennenlerntag für den gesamten Jahrgang statt. Dafür ging es für uns
120 Schüler in die „Berge“. Wir wurden in kleinere Gruppen aufgeteilt und unsere Aufgabe bestand darin, diverse Stationen zu durchlaufen, die uns als Team zusammenschweißen sollten. Die neuen Schüler werden in die Schulgemeinschaft professionell und mit viel Erfahrung integriert, sodass sich keiner allein fühlen muss. Auch wenn man weit von zu Hause weg ist, ist bei mir persönlich das Heimweh ausgeblieben. Das liegt vor allem daran, dass man über den Tag sehr beschäftigt ist und für Heimweh gar keine Zeit hat.

Die Schule
Die Taunton School wurde 1847 gegründet und besteht aus überwiegend traditionellen Schulgebäuden, die im Laufe der Jahre durch moderne Unterrichts- und Wohngebäude ergänzt wurden. Der gepflegte Campus ist großflächig, aber gut strukturiert. Die Schule
verfügt über eine riesige Anzahl an Grünflächen, die zum Teil für die zahlreichen sportlichen Aktivitäten genutzt werden. Die Schule charakterisiert sich selbst gerne als traditionelle britische Boarding School mit internationalem Flair. Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, dass Taunton School nicht nur die traditionellen A-Levels anbietet, sondern auch vor Jahren das International Baccalaureate mit großem Erfolg eingeführt hat. Die Taunton School ist ein Internat und eine „Tages-Schule“ zugleich. Etwa 900 Schüler besuchen diese Schule. Mit einem Drittel Internatsschüler, die aus aller Welt kommen, und zwei Drittel Tagesschüler, deckt die Schule eine Internationalität ab, von der an manch anderen Schulen nur geträumt werden kann.

Das Haus
Alle 300 Internatsschüler sind in einem der fünf Boarding Häuser untergebracht, in dem sie leben und lernen. Es gibt zwei Häuser für Mädchen und drei Häuser für die Jungen. Ich wurde dem „kleinsten“ Haus der Schule zugeteilt. Im „Woodyer House“ leben insgesamt 44 Mädchen. Die „House Mistress“ ist unsere Hausmutter und Ansprechpartnerin für fast alles. Darüber hinaus gibt es sechs Tutoren, die jeweils für einen Jahrgang bei akademischen Angelegenheiten zur Verfügung stehen. Ich selbst bin in einem Einzelzimmer untergekommen. Für die jüngeren Jahrgänge sind jedoch Doppel- oder Dreierzimmer üblich.

Die Stadt
Taunton ist der Hauptort und Verwaltungssitz der Grafschaft Somerset und hat ca. 45.000 Einwohner. Der Name des Ortes leitet sich von Town on the river Tone oder Tone Town ab. Die Stadt ist eine typische britische „market town“ und ist für die Schüler gut zu Fuß zu erreichen.

Das Land
Obwohl bei mir die Schule sehr im Vordergrund steht, hatte ich dennoch Gelegenheit einige Orte in der Umgebung zu besuchen. An einigen Wochenenden werden Ausflüge von der Schule oder von dem jeweiligen Boardinghouse angeboten und durchgeführt.
Gleich am ersten Wochenende im September ging es bei schönstem Wetter ans Meer, nach Weston-super-Mare. Dort hatten wir Gelegenheit einen Escape Room zu besuchen. Im Oktober fuhren wir nach Ilfracombe ans Meer um Surfen zu lernen. Ilfracombe ist eine Kleinstadt mit ca. 12.000 Einwohnern an der Nordküste der südwestenglischen Grafschaft Devon. Ausgestattet mit Neoprenanzügen und angeleitet von erfahrenen Surflehrern hatten wir eine Menge Spaß im kühlen Wasser des Nordatlantik.

Ein Wochenende im November verbrachte ich in Bristol. Bristol liegt am Fluss Avon und ist mit ca. 430.000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt Englands und die achtgrößte Stadt des Vereinigten Königreiches. Bristol gilt als eine der schönsten Großstädte Englands. Über die Stadt verstreut finden sich einige Werke des Graffiti-Künstlers Banksy, der selbst in Bristol geboren wurde. Im Dezember besuchte ich mit Freunden aus meinem Haus den Weihnachtsmarkt in Bath. Diese Stadt liegt ebenfalls am Fluss Avon, etwa 35 km von Taunton entfernt. Sie ist berühmt für ihre römischen Bäder, die ab dem Jahr 43 n.Chr. von den damals dort lebenden Römern aus warmen Quellen entwickelt wurden. Diese einzigen heißen Quellen in England waren schon in vor-römischer Zeit bekannt.

Ein ganzes halbes Jahr
Nach den ersten sechs Monaten kann ich mit Überzeugung sagen, dass meine Entscheidung nach England zu gehen richtig und gleichzeitig die beste meines bisherigen Lebens war. Obwohl der Fokus hier im Internat auf der akademischen Leistung liegt, bleibt der Spaß keinesfalls aus. Ich fühle mich sehr wohl, habe gelernt mit schwierigen Situationen umzugehen und viele neue Freundschaften geschlossen.
Ich freue mich auf all die Erfahrungen, die ich in Zukunft sammeln darf und genieße jeden Tag auf’s Neue!“

Lorena

Weitere Informationen zur Taunton School finden Sie hier.

Hier gibt Lorena Leicht einen zweiten Einblick in ihr Schuljahr 2019 in Taunton:

 

Die zweite Hälfte meines Auslandsjahres ist leider schon vorbei. So viele schöne Dinge sind passiert, die man an zwei Händen nicht mehr abzählen kann. Ich möchte nun von den Highlights der zweiten Hälfte meiner Zeit in England berichten…

Rag Week
Ich habe England als ein Land kennen gelernt, das großen Wert darauf legt, ein allgemeines Wohl zu schaffen. Die Menschen dort sind bereit sehr viel Engagement für die „Charity“ (Wohltätigkeit) aufzubringen. Die sogenannte „Rag Week“ ist eine der wohl spannendsten Wochen an der Taunton School im ganzen Jahr. Alles dreht sich in dieser Woche darum, auf unterschiedlichste Weise Geld zu sammeln, das am Ende dieser Woche an verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen gespendet wird. Dafür wurden zum Beispiel Konzerte, Debatten, Partys oder Wettbewerbe organisiert, für die man jeweils einen Pfund zahlen musste, um teilnehmen zu dürfen.

Chapel
Besonders erwähnenswert ist außerdem der wöchentliche, obligatorische Besuch der
schuleigenen Kapelle. Dieser ist auf englischen Schulen absolut üblich. In einer im Vorhinein festgelegten Formation laufen die Schüler in die Kapelle ein und sitzen dann
geschlechtergetrennt, jedes Haus des Internats separat. Die Gestaltung des Gottesdienstes wird hin und wieder von den jeweiligen Internatshäusern übernommen. Jeder einzelne Gottesdienst steht unter einem eigenen Motto.

Die letzte Zeit
Am Ende des Jahres ist es ein Ritual, dass jedes Haus ein sogenanntes „House-Outing“ macht. Sinn und Zweck des Ganzen ist die Zeit mit den Freunden, Zimmerpartnern und Tutoren zu genießen und das vergangene Schuljahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Mein Haus, das „Woodyer-House“, fuhr dazu nach Exeter, eine Stadt südlicher von Taunton, und ging in den Kletterpark.

Gleich zwei wichtige Events krönten den letzten Schultag. Nach dem obligatorischen Besuch der Kirche fand der sogenannte „Commemoration Service“, eine feierliche Abschieds-Veranstaltung für den Abschlussjahrgang statt. Dazu wurden schon Wochen vorher die Reden geprobt und ein riesiges Zelt auf dem Rasen vor dem Hauptgebäude aufgebaut. Feierlich gekleidet gingen also alle Schüler und deren Eltern zu der Veranstaltung. Am Abend des gleichen Tages fand der Abschlussball, „Prom“, für die Absolventen statt. In der Vereinslocation des Cricket-Clubs vor Ort wurde eine tolle Abschluss-Party gefeiert.

Ich kann es selbst noch kaum fassen. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen. Allen, die zurzeit überlegen, ob sie den Schritt wagen und noch in ihrer Schulzeit ins Ausland gehen sollen, kann ich nur dazu raten. Ich persönlich werde für immer mit einem Lächeln auf den Lippen auf dieses besondere Jahr zurück blicken.

Lorena